
Europas größtes Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe (2021-2027) ist bereits in der Umsetzung. Heute schon zeigen sich die ersten Synergien zwischen den verschiedenen Programmen. Die Luftfahrt-Forschungsstrategie von Horizon Europe ist dabei mehr als je zuvor im Einklang mit den Prioritäten und Plänen der „Fit for 55“ Strategie der Kommission. Das ist kein Zufall sondern das Ergebnis der 30jährigen Zusammenarbeit zwischen der AeroSpace and Defence Industries Association of Europe (ASD) und der EU-Kommission. Die ILA 2022 bietet eine perfekte Gelegenheit, diese langjährige Zusammenarbeit zu zelebrieren und in der heutigen Zeit des Umbruchs eine neue Luftfahrt-Vision für Europa anzustoßen.
Die Luftfahrtindustrie steht an einem Scheideweg: Während die Coronakrise sich hoffentlich ihrem Ende zuneigt, stehen wir mit wachsender Sorge um das Klima mit den weltweiten (energie)politischen Unruhen und einem sich intensivierenden globalen Wettbewerb schon vor den nächsten Herausforderungen. Als Weltmarktführer hat Europa die Verantwortung, Lösungen zu liefern und zu implementieren, um bis 2050 klimaneutral zu fliegen. Zur Überwindung dieser Herausforderungen ist sowohl europäische als auch internationale Zusammenarbeit notwendig. Die EU-Kommission setzt sich zusammen mit ihren Mitgliedsstaaten für eine Wachstumsstrategie in der Luftfahrt ein - deren Kern ist die Nachhaltigkeit.
Die Strategie ist Teil eines umfassenden Plans der Europäischen Union, der von NextGeneration EU finanziell unterstützt wird. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagte kürzlich, dass „die Pandemie zwar einen schweren Tribut an das wirtschaftliche und soziale Gefüge unserer Gesellschaft gefordert hat, dass dies aber auch eine Chance sein kann, ein besseres Europa aufzubauen, das gegen künftige Krisen gewappnet ist“. Mit dem „European Green Deal“, der Strategie für grünes Wachstum und „Europe’s digital decade“, einer Reihe von Initiativen, die die EU fit für das digitale Zeitalter machen sollen, ergreift die Kommission entscheidende Maßnahmen, um Europas Zukunft nach der Coronapandemie zu gestalten. Diese Maßnahmen erfordern massive Investitionen. So stehen den europäischen Bürgern, Unternehmen, Regionen und Städten 1,8 Billionen Euro aus dem Aufbauplan NextGenerationEU und dem langfristigen EU-Haushalt zur Verfügung.
Die Luftfahrtforschung im Rahmen von Horizon Europe verfolgt einen politikgesteuerten Ansatz entlang der beiden Kernziele (d. h. Klimaneutralität bis 2050 und digitaler Wandel). Die beiden Ansätze werden gleichzeitig umgesetzt und zum Großteil im Rahmen der zweiten Säule von Horizon Europe finanziert.
Der erste Ansatz konzentriert sich auf die kollaborative Luftfahrtforschung und -innovation in Ziel 5 des Clusters 5 und setzt auf transformative Technologien mit niedrigem TRL-Wert (1-4) beim Technology Readiness Level (TRL), insbesondere mit Bezug auf vorwettbewerbliche Grundlagenforschung in der Luftfahrt und Technologien für künftige Entwicklungs-, Validierungs- und Integrationsaktivitäten (nach 2027). Zu den Prioritäten gehören:
- Transformative Technologien, die die CO2- und Nicht-CO2-Emissionen, die lokale Luftqualität und den Lärm erheblich reduzieren werden;
- Transformative digitale Technologien, die eine reibungslose Inbetriebnahme künftiger europäischer Flugzeuge ermöglichen werden;
- Transformative digitale und ökologisch effiziente Fertigungstechnologien.
Der zweite Ansatz ist die Europäische Partnerschaft für umweltfreundliche Luftfahrt (European Partnership for Clean Aviation), die sich auf Entwicklung, Einführung und Integration in drei klar definierten Bereichen konzentriert:
- Hybridelektrische und vollelektrische Systeme basierend auf neuartigen (hybriden) Stromversorgungssystemen und deren Integration bei gleichzeitiger Weiterentwicklung und Ausreifung von neuartigen Systemen, Bordstromkonzepten und Flugsteuerungstechnologien;
- Ultra-effiziente Flugzeugarchitekturen um den Bedarf an Kurz-, Mittel- und Langstreckenflugzeugen mit innovativen Flugzeugmodellen zu decken, die hoch integrierte, ultra-effiziente thermische Antriebssysteme nutzen und bahnbrechende Verbesserungen bei der Treibstoffeffizienz bieten;
- Disruptive Technologien, die die Grundlage für wasserstoffbetriebene Flugzeuge bilden - damit Flugzeuge und Triebwerke das Potenzial von (insbesondere flüssigem) Wasserstoff als alternativem, emissionsfreiem Treibstoff nutzen können.
Die Europäische Partnerschaft für die Forschung zur Luftraumüberwachung gemäß dem ATM-System (Air Traffic Management) im einheitlichen europäischen Luftraum (SESAR3) und das Programm „Digitaler europäischer Luftraum“ (Digital European Sky) werden die Markteinführung innovativer Lösungen durch ein Portfolio von Demonstrationsprojekten und ein Schnellverfahren beschleunigen. Unser Schwerpunkt liegt auf Lösungen, die die wachsende Nachfrage nach der Nutzung des europäischen Luftraums, die gestiegenen Erwartungen an die Qualität der Luftverkehrsüberwachung sowie U-Space-Diensten, die Umgestaltung und Optimierung der Art und Weise, wie ATM- und U-Raum-Dienste erbracht werden, und letztlich die Beschleunigung der Marktakzeptanz unterstützt werden. Der Schwerpunkt von SESAR3 liegt auf Digitalisierung, Automatisierung und künstlicher Intelligenz.
Die Europäische Partnerschaft für sauberen Wasserstoff (European Partnership for Clean Hydrogen) zielt in erster Linie darauf ab, die Produktion von grünem Wasserstoff sowie die Verteilung, Speicherung und Endanwendung von kohlenstoffarmem Wasserstoff in schwer beherrschbaren Sektoren zu beschleunigen. Dabei gibt es zahlreiche Synergien zwischen den europäischen Partnerschaften zur „Clean Aviation“ und zum „Clean Hydrogen“. Bis zum Jahr 2030 sollen Brennstoffzellen zunehmend für Hilfs- und Bodenstromaggregate, aber auch für den Antrieb von Zivilflugzeugen eingesetzt werden. Darüber hinaus soll eine Auswahl von Brennstoffzellen-Flugzeugmodellen umfassend zertifiziert und in der Praxis, etwa in kleinen Passagierflugzeuge mit bis zu 50 Sitzen, eingesetzt werden. Wir rechnen 2024 mit der ersten Anwendung des Flüssig-Wasserstoff-Antriebs.
Alle Forschungs- und Innovationsmaßnahmen von Horizon Europe für den Luftverkehr sind auf die 13 Vorschläge des „Fit for 55"-Pakets abgestimmt, das von der Europäischen Kommission im Juli 2021 angenommen wurde, und ergänzen dieses. Das Maßnahmenaket zielt darauf ab, die Klima-, Energie-, Flächennutzungs-, Verkehrs- und Steuerpolitik der EU so zu gestalten, dass die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 verglichen mit dem Stand von 1990 um mindestens 55 % gesenkt werden. Sechs der dreizehn Pakete konzentrieren sich auf den Luftverkehr:
- Die Überarbeitung des EU-Emissionshandelssystems (Emissions Trading System/ETS), das die schrittweise Abschaffung der kostenlosen Emissionszertifikate für den Luftverkehr vorsieht;
- Die Angleichung an das globale ICAO-CORSIA-System für den Ausgleich und die Verringerung von Kohlenstoffemissionen im internationalen Luftverkehr.
- Die Richtlinie über erneuerbare Energien (Renewable Energy Directive), die das Ziel vorgibt, 40 % unserer Energie bis 2030 aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen.
- Die Revision der Richtlinie zur Energiebesteuerung (Energy Taxation Directive) für Kerosin, in der vorgeschlagen wird, die Besteuerung von Energieerzeugnissen mit der Energie- und Klimapolitik der EU in Einklang zu bringen, saubere Technologien zu fördern und überholte Steuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze abzuschaffen, die derzeit die Verwendung fossiler Brennstoffe fördern.
- Die Verordnung zur Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (Alternative Fuels Infrastructure Regulation), die vorschreibt, dass Flugzeuge auf Großflughäfen Zugang zu sauberem Strom haben müssen.
- Die ReFuelEU-Luftfahrt-Initiative wird Kraftstoffhersteller verpflichten, steigende Anteile nachhaltiger Flugturbinentreibstoffe für Jet-A1 an Flughäfen in der EU einzusetzen. Dazu gehören auch E-Fuels. Der Regulierungsvorschlag im Rahmen von ReFuelEU-Lufttfahrt umfasst ein Blending von 2% SAF (Sustainable Aviation Fuel) im Kerosin ab 2025. Der Anteil soll bis 2030 auf 6% steigen. Die weiteren Beimischungsschritte sind 32% bis 2040 und 63% im Jahr 2050.
Die Wirkung und die Schlagkraft der “fit for 55” Pakete hängt unmittelbar mit ihren sich ergänzenden Wechselwirkungen zusammen. Die Luftfahrtindustrie muss jetzt ihren Teil beisteuern, die in der „Sustainable and Smart Mobility Strategy“ gesetzten Ziele zu erreichen. Es geht insgesamt darum, die Emissionen im Transportsektor bis 2050 um 90% zu reduzieren.
Die Luft- und Raumfahrt bringt Europa über die Grenzen hinaus erhebliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile. Die Zukunft Europas hängt unmittelbar von der Vernetzung des Kontinents ab. Unsere Zukunft und die Vernetzung sind ohne Luftfahrt beschränkt. Die langen Entwicklungszyklen in der Luftfahrt rechtfertigen öffentliche Intervention und eine einheitliche Herangehensweise an die Umsetzung von Innovationen und deren Kommerzialisierung. Die Luft- und Raumfahrtindustrie und das Fliegen allgemein wirken sich positiv auf die Entwicklung neuer Werkstoffe, die Verfügbarkeit von Medikamenten für unsere Gesundheit, die moderne Landwirtschaft und insgesamt auf die Lebensqualität unseres Planeten aus. Vor diesem Hintergrund kommt das Geld, das wir in die Luftfahrtforschung investieren, allen Europäerinnen und Europäern um ein Vielfaches zugute. Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie hat sich zu einem Weltmarktführer entwickelt, und diese Position wollen wir stärken. Die Europäische Kommission ist der ‚AeroSpace and Defence Industries Association of Europe‘ (ASD) für seine Unterstützung und Beratung zu Dank verpflichtet. Die gemeinsame Veranstaltung zum Thema „Pioneering Aerospace - shaping the future of ZeroE“, die auf der ILA 2022 stattfindet, ist das Ergebnis unserer gemeinsamen und aufeinander abgestimmten Anstrengungen.
Mariya GABRIEL, Europäische Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend