Die Luft- und Raumfahrt als Garant unserer wehrhaften Demokratie

Mit der massiven russischen Invasion in die Ukraine sieht sich Europa erstmals seit über 75 Jahren mit einem Angriffskrieg konfrontiert. Weniger als 1.000 Kilometer von Berlin entfernt kämpfen ukrainische Soldaten gegen russische Panzer, Flugzeuge und Drohnen. Heute steht der Krieg in der Ukraine als Synonym für das Ringen um unsere demokratischen Werte. Sie beruhen auf der internationalen Zusammenarbeit, der Herrschaft des Rechts in der Europäischen Union (EU) aber auch weltweit. Unser Handlungsrahmen bleibt regelbasiert. Aber die wehrhafte Demokratie erhält nach Jahren der Konzentration auf das globale Krisen- und Konfliktmanagement wieder eine besondere Stellung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – auch durch Elemente der militärischen Abschreckung.

In der Sondersitzung des Deutschen Bundestags anlässlich des russischen Überfalls auf die Ukraine sprach Bundeskanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende: „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf.“ Scholz fragte die Bundestagsabgeordneten im Plenum: „Welche Fähigkeiten besitzt Putins Russland? Und welche Fähigkeiten brauchen wir, um dieser Bedrohung zu begegnen – heute und in der Zukunft?“ Dabei stellte er eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr in den Mittelpunkt: „Klar ist: Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen!“ Bundeskanzler Scholz kündigte eine „große nationale Kraftanstrengung“ an mit deutlichen Mehrausgaben für das Militär. Die Bundeswehr soll zusätzlich mit 100 Milliarden Euro im Rahmen eines Sondervermögens ausgestattet werden. Diese zusätzlichen Mittel dienen nicht der Aufrüstung, sondern insbesondere dazu, die in den letzten Jahren entstandenen Ausrüstungsdefizite der Bundeswehr auszugleichen.

Zeitenwende bedeutet Wehrfähigkeit

Der Krieg hat uns unmissverständlich vor Augen geführt, dass Sicherheit ein hohes Gut für unsere Demokratie ist. Er zeigt uns sehr deutlich, dass Landesverteidigung in der komplexen Welt von heute immer stärker auf Hochtechnologie basiert. Deshalb wird sich auch die europäische Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur neu ausrichten müssen. Es geht einerseits um die Fähigkeit der Abschreckung und andererseits um Systemeffizienz bei der Umsetzung von zukünftigen Beschaffungsprogrammen. Forschung und Entwicklung kommt dabei eine besondere Rolle zu, um der Bundeswehr durchsetzungsfähige Systeme zur Verfügung zu stellen - sofern möglich im Verbund mit den europäischen Partnern. In den kommenden Jahren gilt es, innovative Waffensysteme neu anzuschaffen und bestehende Kapazitäten ökonomisch sinnvoll zu modernisieren. Das heißt vor allem auch, unsere Streitkräfte bestmöglich auszustatten, um der neuen Realität möglicher Konflikte mit potenziellen Gegnern zu begegnen. Dafür leistet die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie einen aktiven Beitrag– sowohl zur proaktiven Abschreckung eventueller Angriffe und Aggressionen als auch zum reaktiven Schutz im tatsächlichen Kriegs- und Krisenfall.

Das Luftkampfsystem der Zukunft als „System der Systeme“

Es ist ein Wesensmerkmal der jüngsten militärischen Auseinandersetzungen, dass die Öffentlichkeit sich annährend in Echtzeit durch eine Flut an Bildern über den Verlauf der Kampfhandlungen informieren kann. Diese Entwicklung ist auf den steten Zuwachs leistungsfähiger Sensoren am Boden, in der Luft und im Weltraum zurückzuführen. In der Realität des „gläsernen Gefechtsfeldes“ wird jede Bewegung gegnerischer Truppen beobachtet und verfolgt. Für moderne Streitkräfte wird die Geschwindigkeit, mit der Informationen gesammelt, zusammengefügt und bewertet werden zur wesentlichsten Determinante für den militärischen Erfolg. Ziel ist es dabei immer, die sequentielle Abfolge von Sehen, Bewerten, Entscheiden und Handeln schneller durchlaufen zu können, als der Gegner.

Diese Konstellation findet sich so selbstverständlich auch in der Dimension Luft wieder. Um dem Rechnung zu tragen, entwickeln Deutschland, Frankreich und Spanien gemeinsam ein Luftkampfsystem der Zukunft, das sogenannte „Next Generation Weapons System“ (NGWS) in einem „Future Combat Air System“ (FCAS). Das NGWS soll 2040 einsatzbereit sein und aus einen Kampfflugzeug („Next Generation Fighter“, NGF) bestehen, das mit unbemannten Systemen („Remote Carrier“) zusammenarbeitet. Dabei führt der Mensch aus dem Cockpit des NGF seine unbemannten Unterstützer. Um Daten und gewonnene Informationen untereinander austauschen zu können, sind NGF und RCs gemeinsam über eine sogenannte Air Combat Cloud (ACC) miteinander vernetzt. Es entsteht ein System der Systeme, in denen Informationen gesammelt, aufbereitet und geteilt werden. Dadurch bekommt jeder Akteur in diesem Systemverbund immer genau die Informationen, die er braucht, um im Sinne seines militärischen Auftrages entscheiden und handeln zu können.

Mit dem NGWS wird erstmalig ein Waffensystem von Beginn an als System der Systeme entwickelt. Der Verbund von NGF, den RCs und der Air Combat Cloud wird den Nukleus des FCAS bilden. In diesem FCAS sind nicht nur die Bestandteile des NGWS, sondern auch Plattformen wie der Eurofighter, das Transportflugzeug A400M, die Eurodrohne sowie Satelliten und Hubschrauber miteinander vernetzt, um Informationen auszutauschen und mit ihren Fähigkeiten im System der Systeme aufzugehen. Dafür müssen allerdings auch an diesen „Bestandssystemen“ konsequente Weiterentwicklungen vorgenommen, um sie auf ihre neuen Rollen im FCAS vorzubereiten. Durch eine zielgerichtete Verzahnung mit der Entwicklung des NGWS können dabei erste Funktionalitäten eines FCAS auch schon vor 2040 für die Bundeswehr zur Verfügung stehen. 

Wie die deutsche Industrie auf die Herausforderungen eines Luftkampfsystems der Zukunft antworten wird, können Sie auf der ILA 2022 entdecken.

Enge Kooperation zwischen Industrie und Militär

Waffensysteme müssen nicht nur entwickelt und produziert werden, sondern über den gesamten Lebenszyklus gewartet, instandgesetzt und auch weiterentwickelt werden. Vor dem Hintergrund einer Nutzungsdauer von 30 Jahren und mehr bei fliegenden Waffensystemen ist die materielle Einsatzbereitschaft der maßgebliche Key Performance Indicator (KPI) für einsatzbereite Streitkräfte 

Die seit knapp 20 Jahren bestehenden Kooperationen zwischen Luftwaffe und Industrie sind beispielgebend für eine Win-Win-Situation im Spannungsbogen von limitierten Ressourcen (Personal, Finanzen) und militärischem Auftrag. Beide Seiten verbindet ein gemeinsames Ziel: Die bestmögliche Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu gewährleisten!

Durch die integrale Einbindung in die Industrieunternehmen erhält sich die Luftwaffe umfassende Fähigkeiten (BEFF), welche sie im Bedarfsfall jederzeit weltweit einsetzen kann, ohne hierbei auf Industrieunterstützung angewiesen zu sein. Für die Industrie ist die Planbarkeit ein entscheidender Faktor. Die Möglichkeit zur langfristigen Auslastungs- und Kapazitätsplanung ist Grundvoraussetzung jeder wirtschaftlichen Betriebsführung.

Geänderte sicherheitspolitische Rahmenbedingungen, budgetäre Engpässe und die Herausforderungen bei der Personalregeneration sowie die zunehmende technologische Komplexität der Systeme bedingen die stetige Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen Streitkräften und Industrie. Dies kann nicht nur über Möglichkeiten der Digitalisierung – z.B. über Remote Assistance für die virtuelle Inspektion – realisiert werden, sondern beispielsweise auch über neue Personalmodelle, wie dem Konzept der Industriereserve der Luftwaffe. Hierbei stehen die Arbeitnehmer der für die Luftwaffe relevanten Industrie, die ihre Tätigkeit auch bei sich verändernder Sicherheitslage, dann in Uniform, fortsetzen, im Fokus. Sie sollen im szenarabhängig die vereinbarten Leistungen als Soldat sicherstellen, um die gesicherte Leistungserbringung für die Luftwaffe aufrecht zu erhalten.

Auf der ILA Berlin wird vom 22. bis 26. Juni 2022 das ganze Aufgabenspektrum der Kooperation von Industrie und Bundeswehr im Military Support Center (MSC) in Halle 3 zu sehen sein. Durch die sicherheitspolitische Zäsur wird das Thema Verteidigung und Sicherheit neben dem klimaneutralen Fliegen und der Zukunft der Raumfahrt zu einem der wesentlichsten inhaltlichen Schwerpunkte.

In diesen Hochtechnologie-Bereichen passiert derzeit nicht nur unglaublich viel, sondern sie leisten auch unverzichtbare Beiträge für unser Leben – im Alltag und zum Erhalt des Friedens. Denn Sicherheit ist Voraussetzung einer umfassenden Nachhaltigkeit und Grundlage für Frieden, Wohlstand und Demokratie.